Donnerstag, 16. Mai 2024

Die Gemüsebauern setzen einen Notruf ab

Die österreichischen Gemüsebauern stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie klagen vor allem über unfaire Bedingungen im Wettbewerb.

Hans Gmeiner

Eferding. Die Anbaubedingungen heuer waren optimal, die Ernteaussichten sind gut. Das ist aber auch schon das Einzige, was bei den heimischen Gemüsebauern passt. Ihre Stimmung ist im Keller. Wettbewerbsnachteile bei den Lohnkosten und beim Pflanzenschutz, der wachsende Anteil an Aktionsware im Handel, fehlende Herkunftskennzeichnungen und Billigimporte sorgen für wachsenden Unmut. „Wir verlieren Marktanteile“, sagte Ewald Mayr, Chef der Gemüsebauern in Oberösterreich, in Hinzenbach bei der Eröffnung der neuen Gemüsesaison. „Der Druck steigt.“ Dass die Konsumenten auch beim Gemüse sparen und billig kaufen und der Pro-Kopf-Verbrauch eher zurückgeht als ansteigt, hebt die Stimmung auch nicht unbedingt.

Vor allem die hohen Lohnnebenkosten liegen den Bauern schwer im Magen. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Arbeitskosten in Österreich deutlich höher sind als im benachbarten Bayern und anderen Ländern in Europa, wo es für Saisonarbeitskräfte Sonderregelungen gibt. Das macht es immer schwieriger, Arbeitskräfte zu finden. „Bei uns kostet die Stunde brutto 4,80 Euro mehr und die Arbeiter bekommen um vier Euro weniger als anderswo“, sagt Mayr. Bitterer Nachsatz: „Bei uns verdient vor allem die Sozialversicherung.“

Wachsende Sorgen macht auch der Pflanzenschutz. Die Zahl der zugelassenen Mittel wird immer kleiner, Zulassungen werden oft nicht erneuert, neue Mittel kommen kaum mehr auf den Markt. Vor allem hadert man mit der EU-Bürokratie, die für jedes Mittel von jedem Land trotz allgemeiner Zulassung eine landesspezifische Zulassung verlangt. Heuer wird in Österreich erstmals kein „Bierradi“ mehr erzeugt, weil die Zulassung für ein wichtiges Pflanzenschutzmittel ausgelaufen ist, das aber in Bayern weiter eingesetzt werden darf. In zwei Jahren laufen für Gemüsearten wie Kraut und Salat wichtige Zulassungen aus. Bis dahin müssten Lösungen gefunden werden.

Immer größer wird der Ärger auch über die fehlende Pflicht zur Herkunftskennzeichnung. „Im Lebensmittelhandel kommen unter Eigenmarken Gemüseprodukte etwa aus der Türkei zu Preisen in die Regale, wo man nur mehr den Kopf schüttelt und staunt“, sagt Klaus Hraby, Chef von Efko, dem größten heimischen Hersteller von Sauergemüse. „Dabei wird in der Türkei zu Bedingungen produziert, da ist der Ausdruck Wettbewerbsverzerrung ein Hilfsausdruck.“ Das gelte für die Produktionsbedingungen genauso wie für die sozialen Standards. Im EU-Land Spanien sei es nicht viel anders. Was solche Länder machten, sei nichts anderes als der Import von Sozialmissbrauch. „Und zu uns sagt man, ihr müsst euch schon bemühen und billiger werden.“ Man verlange, dass man in Österreich „supersauber“ sei, aber das Gemüse aus der Türkei kaufe man gerne. „Das ist zynisch“, befindet Hraby, der auch die Konsumenten in die Pflicht nimmt. „Wenn die Kunden nicht bereit sind, für etwas zu zahlen, oder nicht zahlen können, was sie in Umfragen immer fordern, dann wird es für Bauern und Verarbeiter schwierig.“

Einig sind sich der Gemüsebauernvertreter Mayr und Efko-Chef Hraby darin, dass die Politik „die entsprechenden Bedingungen“ schaffen müsse. Es gehe um die Herstellung von Chancengleichheit. „Wir brauchen keine Besserstellung, aber es kann nicht sein, dass es die anderen leichter haben.“ Die Themen seien ja nicht neu. „In Deutschland etwa geht man damit wesentlich schneller und hemdsärmeliger um“, sagt Hraby. Österreich könnte viel mehr Gemüse erzeugen, sind die Bauern überzeugt. Für viele wäre das eine Zukunftschance.

Derzeit geht der Trend in die Gegenrichtung. Nach Zuwächsen in den Coronajahren sank die Gemüseanbaufläche etwa in Oberösterreich, der nach Niederösterreich und Wien wichtigsten Produktionsregion, wieder von mehr als 2150 auf rund 1950 Hektar. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Gemüse erreichte im Vorjahr 120,7 Kilogramm nach 124,4 im Jahr davor, die Gesamtproduktion 651.000 Tonnen.

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 16. Mai 2024

Eine "unordentliche Inventur", die auch Österreich anstehen würde

Die Bundesrepublik Deutschland wird in der kommenden Woche 75. Die Wochenzeitung "Die Zeit" nahm das Jubiläum zum Anlass für eine, wie sie es nennt, "unordentliche Inventur" und stellte eine ganze Ausgabe des Magazins unter das Motto "75 Sachen, die bleiben sollen, 75 Sachen, die sich verändern müssen". Der Themenbogen reicht von der Bundesverfassung, über soziale Errungenschaften, Gleichberechtigung, Pressefreiheit bis hin zur deutschen Wurst und deren Qualität, die besser sein könnte. Diese Inventur referiert nicht nur Stärken und Defizite, sondern auch das, was Deutschland und die Menschen, die dort leben, ausmacht und was sie abseits von Diskussionsrunden im Fernsehen, von politischen Auseinandersetzungen und den Meinungen in Leitartikeln bewegt.

In Österreich steht in absehbarer Zeit kein vergleichbares Jubiläum an. Aber im Vorfeld der Europawahlen Anfang Juni und der Nationalratswahlen im Herbst und vor dem Hintergrund der politischen Debatte, respektive Nicht-Debatte, stünde unserem Land durchaus auch so eine "unordentliche Inventur", wie die "Zeit" sie nennt, gut an.

Was macht Österreich aus und die Leute, die in diesem Land leben? Was schätzen sie und was wollen sie geändert sehen? Was lieben sie und was möchten sie nicht missen? Und was fehlt ihnen?

All das spiegelt sich in der öffentlichen Diskussion kaum mehr wider. Viel eher drängt sich der Eindruck auf, als herrschten nur Frust, Neid, Eifersucht, Wut und Hass. Was aber Österreich ausmacht, wird nicht mehr geschätzt. Viel zu oft vergessen und madig gemacht von einer Gesellschaftskultur, die nur mehr auf Konfrontation gebürstet zu sein scheint. Die großen Linien hat man längst aus den Augen verloren, gar nicht zu reden von großen Zielen, die man anstreben will.

Dabei gibt es dem Duktus der "unordentlichen Inventur" folgend auch in Österreich sehr viel, was wir behalten sollten. Obwohl man oft einen ganz anderen Eindruck haben könnte. Die Verfassung etwa gehört dazu, die parlamentarische Demokratie oder die EU-Mitgliedschaft. Auch die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen, auch wenn sie oft mühsam sind, gehören dazu und vieles andere mehr. Auch der alles in allem doch gut ausgebaute Sozialstaat, das im Großen und Ganzen funktionierende Gesundheitssystem und das Pensionssystem, das bei aller Kritik weitaus besser ist als anderswo. Die Infrastruktur von der Stromversorgung bis zum öffentlichen Verkehr ermöglicht ein passables Leben. Auch die Umwelt ist einigermaßen in Ordnung, das Wasser und die Gewässer auch. Um den Kulturbetrieb beneidet man uns und um die Hochkultur erst recht. Gar nicht zu reden von den Bergen und den Skifahrern. Und wir sind zu Recht stolz auf die Schönheit unseres Landes. Zu Österreich und dem, was bleiben sollte, gehören aber auch längst Döner, Hamburger, Jeans, iPhones und Voodoo Jürgens - so wie Wirtshaus, Leberkäse und Almdudler.

Alles zusammen macht Österreich und unser Lebensgefühl aus -und ist sehr viel mehr, als sich im öffentlichen Diskurs spiegelt.

Freilich kann man auf manches verzichten, und freilich gibt es vieles, was verändert respektive besser gemacht werden muss. Wir alle kennen die Notwendigkeiten. Vom Pflegenotstand, über die Bürokratie bis hin zu Postenschacher und Freunderlwirtschaft. Über die Diskurs-Kultur gehört geredet, über die Selbstverantwortung und über den Umgang miteinander, über Achtung und Respekt auch. Und über Gleichbehandlung. Worum es geht, ist nicht, permanent sich darüber zu echauffieren, um daraus in irgendeiner Form politisches Kapital zu schlagen. Worum es geht, ist alles dran zu setzen, an Verbesserungen auf allen Linien und auf allen Ebenen zu arbeiten.

An diesem Klima und an diesem Bewusstsein dafür fehlt es derzeit freilich. Es fehlt an der Ehrlichkeit in der Auseinandersetzung um die großen Fragen wie Pensionssicherung, Bildung, Klima und Umwelt oder Zuwanderung und vielem anderen mehr. Ideologische Scheuklappen, Neid oder das Schielen nach Wählern blockieren notwendige Schritte. In der Politik genauso wie in der privaten Welt.

Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit und weniger Aufgeregtheit. Und mehr Offenheit. Genau darum könnte so eine "unordentliche Inventur" wertvoll sein. Viel wert-und wohl auch sinnvoller jedenfalls als das ganze Getue und Gezeter rund um eine Leitkultur, die jede Ernsthaftigkeit vermissen lässt und nur die Maximierung von Wählerstimmen im Auge hat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Mai 2023

Dienstag, 30. April 2024

Hoch die Arbeit

Die Arbeit sorgte in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen. Nicht nur wegen des 1. Mais. Dessentwegen eigentlich noch am wenigsten. In den Tagen davor machten die Lohnverhandlungen bei den Austrian Airlines Schlagzeilen und die Industriellenvereinigung, die mit der Forderung nach Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden, weil „Wohlstand nur durch Leistung“ entstehe, für Empörung sorgte. Und da ist noch gar nicht die Rede von der 32-Wochenstunden-Forderung mit der der Chef der Sozialdemokraten, seit Monaten die die Gemüter in Wallung bringt.

An der Arbeit entzündet sich schnell etwas. Sie bewegt die Menschen und sie bewegt die Politik. Beobachter konstatieren, dass die Pandemie das Verhältnis zur Arbeit stark verändert hat. Viele Beschäftigte seien aus dem Lockdown nicht mehr vollständig zurückgekehrt meint etwa Franz Schellhorn, Chef der Agenda Austria. Man will heute weniger arbeiten, man will mehr Flexibilität in Sachen Arbeitszeit. Und man will oft nicht mehr zurück in die Büros. Weil man das Homeoffice aus welchen Gründen immer zu schätzen gelernt hat.

Unzufriedenheit ist in den vergangenen Jahren eine Lebenshaltung geworden in Österreich. Da nimmt nicht Wunder, dass sich auch mit der Arbeitswelt und was dazugehört Unzufriedenheit breit machte. Für viele Berufe sind nur mehr schwer Bewerber zu finden. Zuweilen ist, wie das AMS-Chef Johannes Kopf einmal nannte, „ein Kampf unter den Branchen um Arbeitskräfte“ zu beobachten.

Heute geht es vielen um eine möglichst guter Work-Life-Balance und um Möglichkeiten für die persönliche Weiterentwicklung. Der Begriff Leistung ist in diesem Umfeld nicht wirklich hoch angesehen und hat oft an Stellenwert verloren. Vor allem die Jungen sind nicht mehr zu all dem bereit, was in der Arbeitswelt vor ein paar Jahre noch üblich war. Die Generation Z will zwar einen sicheren Arbeitsplatz, im Vordergrund steht dabei „Sinnvolles“ zu tun und nicht auf „genügend Freizeit“ verzichten zu müssen.

Vollzeitarbeit gilt heute oft gar nicht mehr als erstrebenswert. Nicht nur aus den genannten möglichen Gründen.  Oft geht es um ganz Anderes. Darum etwa, dass es etwa an Möglichkeiten für Kinderbetreuung fehlt oder darum, dass sich Mehrarbeit schlicht nicht auszahlt, weil vom Mehreinkommen netto nicht wirklich viel mehr bleibt.

Bei Themen wie diesen sind nicht die Unternehmen und Unternehmer, sondern da ist die Politik gefordert. „Wer von 25 auf 35 Stunden aufstockt, sieht dass der Nettozuverdienst mit dem Zuwachs beim Bruttoeinkommen nicht mithalten kann“, wird in einem Zeitungskommentar dieser Tage das Dilemma auf den Punkt gebracht. Und das ist nicht das einzige Beispiel. Bei den Zuverdiensten für Pensionisten ist es kaum anders. Wer sich darauf einlässt, muss schnell erkennen, dass man da nicht rechnen darf, wenn man arbeiten will. Beispiele wie diese gibt es viele.

Die Welt ist eine andere geworden. Auch die Welt rund um die Arbeit. „Hoch die Arbeit“ hieß es früher, auch am 1. Mai. Heute heißt vor allen „Hoch die Hände Wochenende“. Dieser Tage war, entstanden wohl vor dem Hintergrund der politischen Slogans, mit denen der Chef der heimischen Sozialdemokraten Wähler gewinnen will, vom „Tag des Arbeitsleids“ zu lesen und davon „dass Babler und Genossen“ die Arbeit zusehends „sabotieren“ und „enthusiastisch in die Sackgasse“ führen.

Arbeit zu haben, wird zwar immer noch hoch geschätzt, auch das Geld das man dafür bekommt mag man. Das man von der Arbeit gut redet, gar davon, dass man sie gerne macht, kommt hingegen her selten vor. Die guten Seiten kommen kaum vor. Ist Arbeit nicht für viele Menschen nicht nur Gelderwerb sondern auch Erfüllung und Bestätigung? Arbeiten nicht auch sehr viele Menschen sehr gerne? Nicht nur wegen des Lebensunterhaltes, den sie damit verdienen, sondern auch wegen der sozialen Kontakte. Ist es wirklich so, dass Freizeit das einzig erstrebenswerte ist und Arbeit nur Mühsal und allenfalls notwendiges Übel?

Wohl nicht. Heute ist Arbeit längst ein komplexes Wechselspiel von Wünschen und Bedürfnissen, die weit über Geld und Zeit hinausgehen. Und da ist nichts mehr von „Hoch die Arbeit“. Das freilich sollte man schon allein deswegen nicht aus den Augen verlieren. Die Unternehmerinnen und Unternehmer sowieso nicht. Aber schon gar nicht die Politikerinnen und Politiker aus deren Lager der Slogan stammt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. April 2024


Donnerstag, 25. April 2024

Die apathische Mitte

Die politische Mitte ist dabei, zum Phantom der Politik zu werden. Alle reden davon und behaupten sie zu vertreten. Aber wo sie zu verorten ist, vermag niemand wirklich zu sagen. Zu lange ruhte sie in sich. Und nun weiß niemand mehr, wo sie ist. Vor allem ist sie dabei, an Bedeutung und Gewicht zu verlieren im Spiel der Kräfte. Und das nicht nur, weil die Ränder immer stärker werden, sondern vor allem wohl deswegen, weil sich die Mitte nicht rührt. Und wenn sie sich rührt, dann zeigt sie nicht Stärke, Orientierung und Selbstbewusstsein, sondern verschiebt die Grenzen dorthin, wo sie meint, dass es links oder rechts etwas zu holen gibt.

Dabei wäre die politische Mitte nach wie vor für die große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher die geistige und seelische Heimat. Mit extremen Standpunkten hat man es an sich nicht hierzulande, schon gar nicht mit extremen Ideologien. Diese Zeiten sind lange vorbei. Das Laute und den Streit mag man eigentlich nicht. Man schätzt den Kompromiss, den Mittelweg und sachliche Lösungen ohne großen Wirbel. Leben und leben lassen. Gut gehen soll's halt allen und kosten soll's nicht viel. Und das in Sicherheit und in Ruhe. Man will sich wohlfühlen, ohne viel dafür tun zu müssen.

Genau das aber ist wohl das Problem der Politik in der Mitte und für die Mitte. Die Mitte ist kaum greifbar. Die Mitte lässt machen. Die schweigende Mehrheit, die alles zulässt, zuweilen zwar jammert -die aber vor allem immer nur zuschaut und machen lässt. Man meint, der Wohlstand und die Sicherheit wüchsen auf den Bäumen und die Demokratie auch -einsetzen will sich niemand dafür. Apathie gleichsam als Lebenshaltung.

Die Parteien der Mitte tun sich schwer mit dem, wie sich das in den vergangenen Jahren entwickelt hat. In einem solchen Umfeld übersieht man schnell Leute, die sich übergangen fühlen und zu kurz gekommen. Der Scherbenhaufen ist mittlerweile groß.

Heute muss man hilflos zuschauen, wie immer mehr Menschen an der politischen Empörungswirtschaft Gefallen finden, die Parteien wie die FPÖ betreiben und wie sogar eine kommunistische Partei reüssiert. Viele der Menschen aber, die eigentlich die Mitte wären und die Mitte bleiben wollen, finden sich und ihre Anliegen immer noch nicht wirklich vertreten. VP-Wähler nicht durch abstruse Leitkultur-und Normalität-Kampagnen. Und SP-Wähler nicht durch den Klassenkampf gegen Hausbesitzer und die, die etwas Geld auf der hohen Kante haben -zu leicht könnten die Pläne des neuen Parteichefs viele von ihnen selbst erwischen.

Über Jahre hat man die Mitte verschwendet. Man hat sich Entwicklungen verweigert und auf die Leute vergessen. Viel lieber hat man sich mit dem eigenen Fortkommen beschäftigt als mit dem, was die Leute wollten und was Politik für die Mitte hätte tun müssen. Vor lauter Schielen auf die Ränder hat man die Mitte aus den Augen verloren. Auch wenn man immer wieder davon redet. Dort aber rätseln Wählerinnen und Wähler herum, wen sie wählen sollen und fragen sich, ob sie denn überhaupt oder ob sie nicht doch besser daheimbleiben sollen.

Wenn Bundeskanzler und VP-Obmann Nehammer sagt "Wir sind verpflichtet, dieser Mitte die Bedeutung zu geben, die sie hat", ist das längst keine Ansage mehr auf die alle längst gewartet haben, sondern steht im Geruch eher Ausdruck der Hilfslosigkeit zu sein. Man hätte in den vergangenen Jahren alle Zeit der Welt gehabt. Nicht nur die ÖVP, auch die SPÖ oder die Liberalen. Man hat sie aber nicht genutzt. Stattdessen hat man sich nach allen Regeln der Kunst gegenseitig bekämpft und schlecht gemacht, bis aufs Blut gestritten. Der Kompromiss wurde geächtet, das Eigene über das Gemeinsame gestellt. Brücken wurden abgerissen. Was unter Schüssel begonnen hat, hat Kurz eineinhalb Jahrzehnte später zur Kulmination gebracht und wurde von den anderen Parteien nachgemacht.

Den Weg zurück und wieder Halt zu finden ist schwierig. "Keiner hat alleine die reine Weisheit. Man muss daher alle hören. Ich bin nie ein Ausgrenzer gewesen. Vertragt euch, muss es heißen. Man muss bereit sein, von eigenen Vorstellungen abzuweichen", sagt dieser Tage der oberösterreichische Altlandeshauptmann Josef Ratzenböck in einem Interview mit den OÖ Nachrichten aus Anlass seines 95. Geburtstags. Für die politische Mitte könnte das eine Anfang für eine gute Zukunft sein -und für die vielen, die sich in der politischen Mitte übersehen fühlen, eine Hoffnung.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. April 2024

Montag, 22. April 2024

Hofübergabe ist keine „gmahdeWiesn“

Der Generationswechsel in der Landwirtschaft ist eine heikle Sache. Einen Bauernhof will nicht mehr jeder übernehmen – aus vielerlei Gründen.

Hans Gmeiner

Linz, Salzburg. Pro Jahr werden in Österreich rund 1800 Bauernhöfe von ihren Besitzern an die nächste Generation übergeben. Einen Bauernhof zu übernehmen war früher – trotz all der Arbeit und Verantwortung, die damit verbunden war – meist die Garantie für eine abgesicherte Zukunft. Heute ist das längst anders. Einen Hofnachfolger respektive eine Hofnachfolgerin zu finden wird immer schwieriger. Statt den Hof, den Stall und die Felder in jüngere Hände übergeben zu können, müssen jährlich rund 1000 Bäuerinnen und Bauern ihre Höfe zusperren und die Felder verpachten oder verkaufen, weil ihre Nachkommen in der Landwirtschaft keine Zukunft sehen.

Vor nicht allzu langer Zeit waren es allerdings noch deutlich mehr als 1000 Bauern, die jährlich aufgegeben haben. „Seit dem EU-Beitritt hat sich der Strukturwandel dank der Fördermöglichkeiten im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik deutlich verlangsamt“, sagt Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) bei der Vorstellung einer gemeinsamen „Hofübernehmer-Initiative“ mit der Landjugend-Organisation. Agrarpolitische Maßnahmen wie Zahlungen für Jungbauern und das Thema Ausbildung sollen verstärkt in den Mittelpunkt gestellt werden.

Die Gründe dafür, dass oft kein Hofnachfolger zu finden ist, gehen weit über die schwierige wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft und das oft zu geringe Einkommen hinaus. Immer wieder werden der große Arbeitsaufwand, die Bürokratie und schlechte Aussichten für Bauern genannt. Oft stehen große Investitionen im Weg, die die Übergeber vor sich hergeschoben haben und denen sich die Nachfolger nicht gewachsen sehen. Immer öfter spielen auch Anfeindungen gegen die Landwirtschaft eine Rolle. Und eine in der öffentlichen Diskussion über den agrarischen Strukturwandel wenig beachtete Rolle spielen familiäre und persönliche Konstellationen, die einer Weiterführung der Landwirtschaft entgegenstehen. Junge Menschen nehmen heute nicht mehr einfach hin, was ihre Eltern für sie geplant haben, oft gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Fortführung des Betriebs und Ähnliches mehr.

Auch regional gibt es beträchtliche Unterschiede. Während es in manchen Regionen große Probleme bei der Hofübergabe gibt und sich einige wenige Junge, die dazu bereit sind, vor Angeboten kaum retten können, funktioniert der Übergang von einer Generation auf die nächste in anderen Regionen klaglos. Als Faustregel gilt, dass sich Haupterwerbsbetriebe und Betriebe im Berggebiet bei der Hofnachfolge leichter tun als Nebenerwerbsbetriebe und Betriebe in nicht benachteiligten Gebieten, in denen die potenziellen Hofnachfolger mehr Alternativen zu einem Leben zwischen Hof, Stall und Feld haben.

Vor diesem Hintergrund überrascht nicht, dass auf vielen Höfen die Betriebsnachfolge lange ungeklärt bleibt. Vor fünf Jahren ergab eine Befragung der Key-Quest-Marktforschung, dass auf rund der Hälfte der Höfe, auf denen die Betriebsleiterin oder der Betriebsleiter bereits den 50. Geburtstag hinter sich hat, die Nachfolge nicht geregelt ist. Bei einem Viertel davon war bereits klar, dass es nicht weitergehen wird. Auf neun Prozent der Höfe, bei denen die Nachfolge nicht entschieden war, gab es keine Kinder und auf 16 Prozent der Höfe hatten die Kinder kein Interesse, den Hof zu übernehmen. „Daran hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert“, sagt Johannes Mayr von Key-Quest, „das bestätigen auch neuere Untersuchungen.“

Dort, wo die Hofnachfolge bereits geregelt ist, übernimmt meist eines der eigenen Kinder den Hof. Dabei sind die Bauern noch immer sehr traditionell. Söhne kommen vier Mal häufiger zum Zug als Töchter. Bei weiteren vier Prozent übernimmt laut Key-Quest ein Neffe, eine Nichte oder ein anderer Verwandter den Hof. Aber auch außerfamiliäre Übergaben sind längst kein Tabu mehr. Dafür gibt es mittlerweile auch eine eigene Vermittlungsplattform.

Bei den Betrieben, bei denen die Übergabe klappt, scheint alles eitel Wonne zu sein. „93 Prozent der Befragten treten ihr Erbe mit Begeisterung“ an, ergab vor nicht allzu langer Zeit eine Befragung von Hofnachfolgern. Vor allem die jungen Bäuerinnen und Bauern unter 40 sind es, die zuversichtlich in die Zukunft blicken. Und das sind in Österreich so viele wie in keinem anderen EU-Land – knapp 24 Prozent der Betriebsführerinnen und Betriebsführer in der österreichischen Landwirtschaft sind noch keine 40 Jahre alt. Der Durchschnittswert in der EU liegt bei nur zwölf Prozent.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 22. April 2024

Donnerstag, 18. April 2024

Digitale Selbsttäuschung

Er wurde gerade 78. Er ist ein Fußballfan zeit seines Lebens. Lange als aktiver Spieler, seit Jahrzehnten als Zuschauer. Er ist an Wochenenden immer auf Fußballplätze gegangen und ins Linzer Stadion. Auf Fußballplätze geht er immer noch. "Im neuen Linzer Stadion auf der Gugl war ich aber noch nie", sagt er. Da kenne er sich mit dem Kartenkauf nicht mehr aus. "Das ist mir zu kompliziert geworden mit dem Bestellen im Internet."

Der verhinderte Fußballfan ist wohl einer von vielen, vor allem einer von vielen Senioren, die sich zunehmend ausgeschlossen fühlen von der digitalen Welt und vom Fortschritt, den sie mit sich bringt. Auf die Bedürfnisse von Menschen wie ihn wird zunehmend weniger Rücksicht genommen. Auch wenn sie keine Senioren sind.

In den vergangenen Tagen sorgte für Aufregung, dass der hochgejubelte und durchaus lobenswerte Reparaturbonus etwa für Elektrogeräte nur nutzen kann, wer einen Zugang zum Internet hat und damit auch umgehen kann. Ansonsten bleibt die Aussicht auf den Bonus ein frommer Wunsch. Einlösen kann man ihn nur online. Beim Heizkostenzuschuss ist es nicht anders und auch nicht beim Handwerkerbonus, der Anfang dieser Woche vorgestellt wurde.

In der Bankenwelt kennt man das Thema und die Kritik schon lange. Dort hält man trotz höherer Kosten auch die analogen, also herkömmlichen Möglichkeiten Geld abzuheben, zu überweisen und zu verwalten offen und versucht mit einem flexiblen Beratungsangebot die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen.

Digitalisierung, Internet, Computer, Smartphones und alles, was dazugehört, sind nicht mehr wegzudenken aus unserer Welt. Sie machen das Leben leichter, einfacher und ersparen viel Ärger und viele Kosten. Sie verlangen freilich von den Anbietern von Geräten und Diensten einen verantwortungsvollen Umgang. Und genau daran hapert es oft. Wer keinen Experten bei der Hand hat, um Computer, Mobilgeräte, Server, ISDN und all das andere einzurichten, hat schlechte Karten in der digitalen Welt. Gekümmert hat man sich nie ernsthaft darum. Jeder redet davon, aber kaum jemand bietet Greifbares. Zu lange schon schaut auch die Politik zu und überlässt den Anbietern das Feld.

Obwohl sich in den vergangenen Jahren viel geändert hat, ist der Nachholbedarf immer noch groß. Nicht Technik-affine Anwender haben nach wie vor ihre Probleme und werden alleine gelassen damit. Sie, wenn sie dennoch interessiert oder gar angewiesen sind darauf, sind zu einem Leben in den Warteschleifen der Hotlines der Anbieter, aber auch der Verwaltung verdammt.

Dort sitzt man nach wie vor auf dem hohen Ross, vornehmlich sich selbst zu loben und in ein gutes Licht zu stellen. Nachgerade typisches Beispiel dafür ist die ID Austria. Haben Sie schon einmal danach im App-Shop Ihres Handys gesucht? Sie werden nichts finden. ID Austria kennt man dort nicht. Was man kennt, ist das "Digitale Amt". Dass das die ID-Austria ist, muss man erst einmal wissen.

Das mag nur ein kleines und auch sehr schnell aufklärbares Beispiel dafür sein, wie wenig Rücksicht man oft auf die Nutzer nimmt. Bezeichnend ist es dennoch. Die Gedankenlosigkeit der einen ist für viele andere oft nichts als eine Hürde, vor der sie verweigern oder an der sie scheitern.

Inzwischen gibt es sogar ein Staatssekretariat für Digitalisierung, der Aufholbedarf ist aber immer noch enorm. Alle reden zwar von den Senioren und machen sich Sorgen, dass sie von der Digitalisierung zuweilen diskriminiert werden. Noch größere Sorgen sollte machen, dass fast vierzig Jahre nachdem die ersten Personal Computer für den Hausgebrauch auf den Markt kamen, und mehr als dreißig Jahren nach den ersten Mobiltelefonen, nach dem Beginn des Siegeszuges von Internet und E-Mail, immer noch vierzig Prozent der Österreicherinnen und Österreicher über keine Grundkenntnisse bei der Nutzung digitaler Technologien verfügen. Es mag erschrecken, dass bei den Senioren dieser Anteil laut Statistik Austria bei 65 Prozent liegt, noch mehr erschreckt aber, dass in den Altersklassen 25 bis 54 Jahre der Anteil rund um die 30 Prozent beträgt, und selbst bei den 16-bis 24-Jährigen noch immer bei rund 20 Prozent liegt.

Daraus ist zweierlei zu folgern - es braucht nicht nur bei den Senioren eine Offensive, um noch sehr viel mehr Menschen fit für die digitale Welt zu machen, sondern in allen Altersschichten. Und es geht insbesondere in der Verwaltung, aber auch in sensiblen Branchen wie der Bankenwelt darum, analoge Zugänge offen zu halten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. April 2024

Donnerstag, 11. April 2024

Langer Atem ist gefragt - und sehr viel guter Wille

Es ist schon sehr starker Tobak, den wir da in Österreich seit Tagen, Wochen und Monaten serviert bekommen. Da ist das Treiben eines Spions für Russland, der offenbar über Jahre im Verfassungsschutz sein Unwesen trieb und die Republik vorführt und lächerlich macht. Da ist der Immobilien-Tycoon aus Innsbruck, dessen so oft bewundertes Reich mit lautem Getöse zusammenkrachte, und in seinem Schatten ein Exkanzler, der vor Jahrzehnten stolz den Boden des Moskauer Flughafens küsste und zuletzt nur mehr in Millionen rechnete und abrechnete, und ein Ex-Kanzler, der sich gerne mit ihm zumindest umgeben hat. Da sind schier unglaubliche Gagen, die in der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nicht nur für echte Stars, sondern auch für viele, die sich dafür halten und die am richtigen Posten sitzen, gezahlt werden. Da sind die Kabalen rund um einen einst als allmächtig geltenden Sektionschef im Justizministerium, der aus dem Leben schied. Und da passt, natürlich möchte man hinzufügen, ins Bild, dass ausgerechnet ein Österreicher, der sich vermutlich in Russland versteckt hält, derzeit als meist gesuchter Mann Europas gilt und dass Österreich in internationalen Korruptionsindizes beständig nach vorne rückt.

Und, und, und -es mag schier gar nicht aufhören. Österreich kommt daher, wie der in die Realität umgesetzte Schundroman aus dem Finanz- und Agentenmilieu, in dem sich dunkle Gestalten jedweder Provenienz bedienen können, unterstützt und hofiert von geltungssüchtigen Politikern, die man sich in den schlimmsten Phantasien nicht ausmalen will. "In Österreich haben Günstlinge, Trickser, Korrupte, Abzocker und Spione leichtes Spiel", war dieser Tage in einem Zeitungskommentar zu lesen.

Es ist wohl so. Es fühlt sich an wie in einem Roman, von dessen Geschichten man sich allenfalls unterhalten lässt, die man aber nie glauben wollte. Und die man nie für möglich oder gar Realität hielt. Schon gar nicht, wenn man sich an den Stammtischen darüber wortreich aufregte und über Politik, Politiker, Wirtschaft und Unternehmer oder Verwaltung und Beamte herzog. Wenn man das alles für maßlos überzogen hielt, für eindimensional und zuweilen gar für einfältig. "So schlimm ist es schon nicht", war immer der zentrale Satz, mit dem man sich beruhigte. Auch wenn man wusste, wie die Dinge oft gehen in diesem Land, auch wenn man sie selbst schon erlebt hat und wenn man sich selbst oft gewundert hat.

Jetzt bleibt nur noch sich zu ärgern. Über die Zustände sowieso und über diesen Schundroman, der in diesem Land Wirklichkeit geworden ist. Aber noch viel größer ist der Ärger, weil jetzt wirklich so viele von denen recht bekommen, gegen die man den Staat verteidigt hat, und seine Proponenten, die Politik auch und die Wirtschaft und die Beamtenschaft -kurzum das System. Gegen all diese Plärrer, gegen deren Pauschalverdächtigungen man angeredet hat, wenn es um Politik und auch wenn es um Corona ging. Alles mit einem Mal nichts.

Man entwickelt mit einem Mal Verständnis für all diese Menschen, die auf die Politik schimpfen und die sich zurückziehen. Die sich aus der Gesellschaft ausklinken, die nicht mehr wählen gehen wollen und die keine Zeitung mehr lesen und keine Nachrichten mehr schauen. Die genug haben von dem, was ihnen da als Wirklichkeit geboten wird. Man versteht mit einem Mal, dass ihr Vertrauen zerstört, ihr guter Wille verbraucht ist. Man versteht, dass sich fast zwei Drittel in diesem Land politisch nicht mehr vertreten fühlen. Man versteht die Demokratiemüdigkeit, die sich breit macht. Da nimmt nicht wunder angesichts dessen, wie der gute Wille immer wieder missbraucht wird, angesichts dessen, wie Erwartungen und Hoffnungen immer wieder enttäuscht und Versprechen gebrochen werden.

Wenn ein großer Reset jemals Sinn macht - dann sollte man ihn jetzt zumindest angehen in Österreich. Auf allen Ebenen, in allen Teilen der Gesellschaft und in all ihren Schichten. Auch, um die Veränderungen und Brüche abzuwehren, vor denen sich nun viele fürchten, dem Driften in Extrempositionen und dem Verlust der Mitte.

Die Aussichten darauf stehen wohl schlecht. Man sollte sich keine Illusionen machen. Und darum sollte man wohl weiter daran arbeiten, sich nicht von den aktuellen Zuständen frustrieren zu lassen. Auch wenn das schwerfallen mag wie kaum je zuvor. Es ist langer Atem gefragt. Und sehr viel guter Wille.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. April 2024
 
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